Logo Muhammad
GeschichteGeliebt & UmstrittenUnterwegsMein ProphetKreativ Kontakt
 df
Muhammad - geliebt und umstritten


Kaum eine Figur der Menschheitsgeschichte ist so umstritten wie Muhammad, Allahs Segen und Frieden über ihn. Für uns Muslime ist er der höchste Gesandte Gottes, die Krönung des Menschengeschlechts und der würdigste Diener Gottes. Bei den Menschen des Westens hingegen ist er seit jeher dem negativen Spektrum dieser Welt zugeordnet worden.

Europa hat sich aufgeklärt, aber nicht sein Bild von Muhammad

Für die früheren Europäer hat er sich vom Häretiker, der das Vertrauen des Papstes missbraucht hat, zum Antichristen höchstpersönlich entwickelt, dem Inbegriff des Dämonischen. Da war es nur folgerichtig, dass ihn der italienische Nationaldichter Dante noch in der Epoche der Renaissance bildlich in die Hölle warf und dort erniedrigende Qualen erleiden ließ. Später, sehr viel später, als die Europäer über Antichristen, Dämonen und Höllenpein nur noch müde lächeln konnten, sind Hexen und Häretiker posthum rehabilitiert worden, aber eben nicht Muhammad. Auch für Voltaire, den großen Geist der Aufklärung, war der Prophet des Islam nicht zu schade, ihn für die Projektion seiner Verachtung des europäischen Klerus zu missbrauchen.

Als sich dann mit der Spätaufklärung Feuerbachs, Marx’ und Freuds die allgemeine Abkehr von der europäischen Religion und die Emanzipation von ihrer Kirche durchsetzte, wurden Muhammad und seine Religion mit Kirche und Klerus einen Topf geworfen – ganz so als sein das „dunkle Mittelalter“ auch sein Erbe gewesen. Im Gegenteil, da Muhammad das Wort der Offenbarung nicht nur predigte, sondern auch noch erfolgreich in gelebte Wirklichkeit umsetzte, da sein Vermächtnis in Form des Korans bis in die Gegenwart materiell erhalten und im Geiste der Muslime präsent gebieben ist, zog er die Missgunst des modernen Europäers geradezu auf sich.

Dann kamen die Feministen und die Pazifisten, die in Muhammad ihre Antithesen zu finden glaubten. Das Patriarchat soll er zementiert und den Krieg soll er für heilig erklärt haben und beides in dem lüstern-fanatischen Bild von den siebzig Jungfrauen, die auf den Märtyrer im Himmel warteten, auf die Spitze getrieben haben. Auch wenn die Forschung dem Menschen des Westens inzwischen ein wissenschaftliches Bild von Muhammad bereitgestellt hat, so ist die populärwissenschaftliche und journalistische Vorstellung von Muhammad doch noch immer von Fantasien und Stereotypen geprägt.

Während dieser wechselhaften Geschichte der Rezeption Muhammads in Europa war es stets lediglich die Perspektive, die sich änderte. Der Blick selbst und seine Wahrnehmung blieben unverändert, gegen jeden noch so radikalen Paradigmenwechsel in Kultur und Weltanschauung immun, mal hasserfüllt und mal verachtungsvoll. Jedenfalls war der Blick Europas auf Muhammad nie gleichgültig.

Schade nur, dass jene klassischen Aufklärer, die in Muhammad ein Vorbild für Europas humanistische und geistige Zukunft sahen, dies meist nicht offen und deutlich vernehmbar gesagt haben. Ihre Bewunderung bekundeten sie lieber diskret in ihren Briefwechseln oder verklausuliert in ihren Dramen und Dichtungen. Nur selten kam es wie bei Goethe zur offenen Verkündigung dieser Hochachtung und Sympathie.

Rechtfertigung für Lethargie und Fatalismus

Im Vergleich zu dieser bewegten Geschichte des letzten Gesandten Gottes in den Köpfen und Herzen eines Teils der Menschheit nimmt sich das Verhältnis der Muslime zu ihm doch eher konstant aus. Sie liebten und verehrten ihn, als er unter ihnen weilte, sie liebten und verehrten ihn in den Jahrhunderten ihrer zivilisatorischen und kulturellen Dynamik und sie liebten und verehrten ihn in den Jahrhunderten des Stillstands und des einfachen Volksglaubens. Sie studierten seine Geschichte, staunten über die beliebten Legenden, die sie über ihn erzählten, lernten den Koran, den er ihnen überbracht hatte, auswendig – und zweifelten nie an seiner Gesandtschaft. Über kaum einen einzelnen Menschen sind jemals so viele Gedichte und Hymnen gereimt und Lieder gesungen worden wie über ihn. In kaum einer anderen Poesie hat die Liebe zu einer einzelnen Person die Dichter so häufig inspiriert wie die Liebe zu Muhammad. Und dies unverändert über die Jahrhunderte hinweg.

Dass in der selben Zeit die Botschaft Muhammads immer mehr durch einen blühenden Volks- und Aberglauben auf der einen und eine immer archaischer, verschachtelter und lebloser werdende Theologie auf der anderen Seite ersetzt wurde, dass also die Strahlkraft des echten Muhammad immer mehr unter den Muslimen verblasste, schien sie ungerührt zu lassen oder ihnen gar nicht aufzufallen. Wahrscheinlich war der Geist, in dem Goethe „Mahomets Gesang“ dichtete, aufmerksamer bei Muhammad als die meisten Geister seiner muslimischen Zeitgenossen. Wahrscheinlich war die gesamte Epoche der klassischen Aufklärung stärker von Muhammad inspiriert als das gesamte zeitgleiche 13. Jahrhundert nach seiner Hidjra.

In Europa einmal Antithese – immer Antithese, erging es Muhammad in den letzten Jahrhunderten islamischer Ideen- und Kulturgeschichte oftmals nicht anders, nur umgekehrt: Einmal Vorbild – immer Vorbild. Doch während er in seiner eigenen Zeit ein Vorbild im herkömmlichen positiven Sinn des Wortes war, wurde er in den Jahrhunderten der Erstarrung immer mehr zur Bestätigung für das Bestehende. Hat er selbst seine eigene Zeit aus Aberglaube und Primitivität herausgeholt und sie grundlegend wie kein anderer vor und nach ihm verändert, so wurde er im Laufe der Jahrhunderte zum Trost und zur Rechtfertigung für Lethargie und Fatalismus.

Muhammad kann inspirieren - auch heute

Weder die einen noch die anderen scheinen dabei Muhammad wirklich gekannt zu haben. Beide sahen sich selbst und projizierten ihre Hoffnungen oder ihre Antipathien auf ihn. Dabei hätten die Muslime in Muhammad, Gottes Segen und Friede über ihn, doch den Mann sehen können, der ihnen in den wichtigsten Herausforderungen ihrer Zeit zum echten Vorbild hätte gereichen können. Sie hätten ihm zuhören können, wie er sagte, die Frauen seien die Schwestern der Männer, also ihre Partnerinnen und Teilhaberinnen in allen Bereichen des Lebens. Sie hätten seine positive Einstellung zum Leben und zur Geschichte lesen können, als er sagte, wenn einer den Ruf der Apokalypse vernähme und in seiner Hand noch einen Ableger hielte, dann solle er ihn auf jeden Fall noch einpflanzen, bevor er sich in den Lauf des Weltendes begebe. Oder als er die Christendelegation aus Najran einlud, die Moschee für ihre Gebete und ihre Liturgie zu nutzen.

Und die sozialistischen Europäer hätten in Muhammad jenen Geist sehen können, der die berühmteste und nachhaltigste soziale Verbrüderungsaktion der Menschengeschichte durchführte. Die Humanisten hätten in ihm die Gestalt sehen können, die den Menschen eine Weltanschauung brachte, die sie aufforderte, eigenständig nachzudenken und sozial und moralisch eigenverantwortlich zu handeln. Die Bürgerrechtler hätten in ihm denjenigen entdecken können, der die Unschuldsvermutung zum Rechtsprinzip erhob und das Nachschnüffeln und die Weitergabe von nachteiligen Informationen aus der Privatsphäre anderer Menschen zu den schlimmsten Untugenden gesellte.

Feministen könnten in ihm jemanden sehen, der nicht nur einen Koran überbrachte, der an einer Stelle bis zur Ermüdung der Forderung damaliger Frauen nach der semantischen Gleichberechtigungen der „MuslimInnen“ und „GlauberInnen“ und „FasterInnen“ und „BeterInnen“ usw. entsprach, sondern auch das Erbrecht der Frau einführte, ihr Recht auf Scheidung und Auswahl des Ehemannes und ihre Bildungspflicht. Sogar die neueste namensrechtliche Errungenschaft in Deutschland, nach der die Frau ihren Familiennamen nach der Eheschließung behalten kann, war bei ihm selbstverständlich – vor vierzehnhundert Jahren.

Und die zeitgenössischen Christen, die in der Liebe die eigentliche Botschaft Christi, Gottes Segen über ihn, entdeckt haben? Auch sie hätten bei Muhammad Wertvolles finden können, z.B. jenes Wort, das ich zuletzt von einem alten Mann, der inmitten einer deutschen Großstadt fürsorglich, aber verbotswidrig Tauben fütterte. Zur Erklärung zitierte er Muhammad: „Seid barmherzig zu denen auf der Erde, dann wird der im Himmel zu euch barmherzig sein.“

Warum eine gemeinsame Sprache über Muhammad schwer fällt

Doch auch wenn wir uns heute von aufgeklärten Muslimen zu aufgeklärten Christen und Europäern unterhalten und somit einen breiten gemeinsamen Nenner haben, so werden wir es immer sehr schwer haben, in Bezug auf Religion und Glaube eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Dies liegt vielleicht an unseren sich diametral widersprechenden Geschichtsverständnissen. Wir sind uns einig in der Wertschätzung, die wir dem „Schönen, Wahren und Guten“, der Freiheit und der Menschenwürde entgegenbringen. Doch sehen die einen von uns das Vorbild für all dieses in dem schönen Beispiel des Propheten Muhammad, also in der Vergangenheit, während die anderen all dies nur am hypothetischen Ende eines immerwährenden Fortschritts sehen. In Bezug auf ihre Ideale sind die einen buchstäblich historisch und die anderen buchstäblich utopisch, auch wenn sie sich in den Werten selbst einig sind. Deshalb werden wir es wahrscheinlich noch lange schwer haben, unsere gegenseitigen Assoziationen und Gefühle gegenüber Muhammad, Gottes Segen und Frieden über ihn, miteinander teilen zu können.


© copyright islam.de