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Sira Teil 13: Die Hijra


Die Gläubigen wandern aus

Kurz nach diesem zweiten Aqaba-Pakt begannen die Muslime aus Mekka einzeln und in kleinsten Grüppchen auszuwandern. Seit der Berufung waren dreizehn Jahre vergangen. Sie hatten von den Koraisch nichts gefordert außer der Freiheit, ihren Glauben zu bezeugen und ihn zu verkünden. Aber die Herren der Stadt wollten diese unerhörte Neuerung nicht dulden. Zehn Jahre lang sind sie drangsaliert, manche sogar gefoltert worden. Sumayya war von Abu Jahl getötet, Bilal von Umayya in vor der Stadt ausgepeitscht worden, Abu Bakr war fast zum Tode zusammengetreten worden. Die Banu Haschim waren drei Jahre lang ausgehungert worden. Von vielen ihrer liebsten Verwandten und Freunde waren sie seit sieben Jahren getrennt, weil sie nach Abessinien fliehen mussten.

Die Muslime in Mekka wussten, dass in Yathrib etwas in Vorbereitung war, dass von dort Erlösung kommen konnte. Ihnen war nicht verborgen geblieben, dass der Prophet vor einem Jahr Mus’ab mit der medinensischen Delegation geschickt hatte, um sie im Islam zu unterrichten und ihnen die bisherige Offenbarung zu überbringen. Auch wenn die Muslime in Mekka wussten, dass sie sich letztlich in eine mehr als ungewisse Zukunft begeben würden, sie konnten den Tag ihrer Abreise gar nicht abwarten. Sie wussten, dass sie bereits an dem Tag, an dem sie das Glaubensbekenntnis abgelegt hatten, eine neue Weichenstellung für ihr Leben getroffen hatten. Sie hatten sich auf den Weg Allahs begeben, ohne Sicherheiten außer dem Propheten selbst.

„Wenn deine Mutter die Läuse beißen, wird sie sich schon kämmen!“

Die Koraisch versuchten sie an der Auswanderung zu hindern, und wo sie konnten hielten sie auch zurück oder ließen sich die Freizügigkeit teuer abkaufen. In der Regel mussten die Muslime mindestens auf ihr Hab und Gut verzichten und es vollständig zurücklassen. Einige wurden auch gezwungen, ihrem Glauben abzuschwören. Oft waren es die eigenen Familien, die die Abweichler zurückzuhalten versuchten. So ein Fall war zum Beispiel Ayyash. Er war ein Freund von Omar und mit ihm geflohen. In Yathrib wurde ihm die Nachricht übermittelt, seine Mutter habe geschworen, sich weder vor der Sonne zu schützen noch die Haare zu kämmen, bis er wieder zurückkäme. Omar warnte ihn, seine Brüder wollten ihn damit nur nach Mekka locken. Seine Mutter würde sich schon die Haare kämmen, wenn die Läuse sie bissen. Ayyash konnte dem vermeintlichen Druck der Mutter jedoch nicht widerstehen und kehrte zurück. Omar sollte Recht behalten. Ayyasch wurde schon unterwegs abgefangen, gefesselt und wie ein Gefangener nach Mekka zurück gebracht, wo er dann gezwungen wurde, seinem Glauben abzuschwören.

Koraisch machen Ernst mit ihrer Mordabsicht

Als die Koraisch erkannten, dass die Angelegenheit Muhammad gerade dabei war, ihnen aus den Händen zu gleiten, wuchs ihre Sorge um die Zukunft ihrer Stellung und um ihren Ruf unter den Arabern der Halbinsel. Muhammad würde seinen Weg sicher ebenso unbeirrt fortsetzen, wie er es schon bei ihnen getan hatte. Sie hatten längst keinen Zweifel mehr daran, dass seine Botschaft dazu geeignet war, das Gesicht der Halbinsel grundlegend zu verändern. Mit seiner Auswanderung würde sein Wirken in Mekka ein vorläufiges Ende haben, aber die Risiken für sie wären eher größer, denn sie hätten dann überhaupt keine Kontrolle mehr über ihn. Nachdem sie schon mehrmals über seine Ermordung nachgedacht hatten, schien dies nun ihre einzige Möglichkeit zu sein, die weitere Ausbreitung dieses Glaubens zu verhindern.

Um das Problem zu umgehen, dass ein Mord an ihm leicht zu einer Fehde zwischen der Sippe seines Mörders und der Sippe des Propheten führen konnte, ersannen sie einen Plan: Aus jeder Sippe sollte ein junger Mann bestimmt werden. Sie sollten ihn alle gleichzeitig überfallen und durch gleichzeitige Schwerthiebe ermorden. Die Banu Abd Manaf, die Grossippe des Propheten, würde klug genug sein und ein Blutgeld akzeptieren, statt allein gegen alle anderen Sippen in den Krieg zu ziehen.

„Zu zweit und Gott ihr Dritter“

Inzwischen waren so gut wie alle Muslime außer dem Propheten selbst, seinem engen Freund Abu Bakr, dessen Kindern und seinem Vetter Ali, ausgereist. Seine Gefährten wusste er nun in Sicherheit. Aber ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er wusste, dass die Koraisch alles tun würden, um ihn an der Ausreise zu hindern. Mut’im, in dessen Schutz er nach der Rückkehr aus Taif in die Stadt gekommen war, war inzwischen gestorben. Auf die verbliebenen Mitglieder seiner Familie konnte er auch nicht mehr zählen. Sein Leben war in Mekka nicht mehr sicher und vielleicht würde ihm eine Flucht nur mit der Hilfe Gottes gelingen. Er bereitete die Reise zusammen mit Abu Bakr minutiös vor und berechnete jeden Schritt. Für die Abreise wurde dann schließlich die Nacht seiner geplanten Ermoderung bestimmt.

„Sie schmiedeten Pläne, und Allah schmiedete Pläne“

Der Prophet, Allahs Segen und Frieden über ihn, pflegte nach dem Nachtgebet immer einige Stunden zu schlafen. Gegen Mitternacht stand er dann meist auf und begab sich in die heilige Moschee zum Gebet. Das wussten jene, die ihm nach dem Leben trachteten. Und so umstellte das versammelte Mordkommando dieser Nacht sein Haus und wartete darauf, dass er es zum Gebet verlassen würde. Doch ihre Plan erfüllte sich nicht. Der Prophet begann die Sure yasin aufzusagen:

Ya Sin. Beim weisen Koran, du bist gewiss einer der Gesandten, auf einem geraden Weg. Eine Herabsendung des Mächtigen, des Barmherzigen, damit du Leute warnst, deren Väter nicht gewarnt worden sind, so dass sie achtlos sind. Der Spruch ist über die meisten von fällig geworden, denn sie glauben nicht. Um ihren Hals haben Wir Fesseln gelegt, die bis an das Kinn reichen, so dass ihr Haupt hochgezwängt ist. Und Wir haben vor ihnen einen Wall und ebenso hinter ihnen einen Wall gemacht, und Wir haben über sie einen Schleier gelegt, so dass sie nicht sehen können. Und es ist ihnen gleich, ob du sie warnst oder ob du sie nicht warnst; sie glauben nicht. Du kannst nur den zu warnen, der die Ermahnung befolgt und den Erbarmer im Verborgenen fürchtet. So verkünde ihm Vergebung und einen ehrenvollen Lohn. (yasin; 36; 1-11)

Als er an die Stelle kam „und Wir haben über sie einen Schleier gelegt, so dass sie nicht sehen können“, kam er heraus. Die Auge der Männer verdunkelten sich, so dass sie ihn nicht sehen konnten und er durch ihren Kreis hindurch zu Abu Bakr gehen konnte. Doch bevor er sich zu ihm beeilte, nahm er Erde in die Hand und streute sie auf ihre Köpfe. Sie erwachten erst, als er längst fort war. Der Koran wird später an dieses Ereignis erinnern:

Und als diejenigen, die ungläubig sind, gegen dich Pläne schmiedeten, dich gefangen zu nehmen oder dich zu ermorden oder dich zu vertreiben. Sie schmiedeten Pläne, und Allah schmiedete Pläne, und Allah ist der beste Pläneschmied. (al-anfal; 8; 30)

Muhammad, der unveränderte „Amin“

Er hinterlies Ali in seinem Bett, denn er wusste, dass ihm nichts geschehen würde. Der Gesandte Gottes war auch nach seiner Berufung und trotz der Anfeindungen in den Augen der Mekkaner stets der Amin, d.h. der Zuverlässige und Vertrauenswürdige geblieben. Deshalb befanden sich bei ihm immer Treuegüter, die verschiedene Leute der Stadt bei ihm aufbewahrten. Er musste mit ihrer Rückgabe bis nach seiner Abreise warten, um keinen Verdacht zu wecken. Ali war auch für die Aufgabe zurückgeblieben, den Leuten ihre Sachen auszuhändigen.

Mit Abu Bakr hatte der Prophet einen Treffpunkt ausgemacht, von dem aus sie ihre geheime Reise nach Yathrib antreten wollten. Die beiden Flüchtigen rechneten damit, dass die Koraisch sie intensiv verfolgen und nach ihnen suchen würden. Deshalb orientierten sie sich zunächst nach Süden, um sich dann, wenn die Suche nachgelassen hätte, über die unwegsamen Bergklippen nach Westen ans Rote Meer zu begeben. Dort würden sie entlang der Küste einen sehr ungewöhnlichen Weg nach Norden nehmen. Sie brachen noch vor Morgengrauen auf und marschierten entlang der geplanten Route, bis sie an eine Höhle im Gebirge kamen, die in die Geschichte als Höhle (auf dem Berge) Thawr eingehen sollte. Ein Schafhirte Abu Bakrs folgte ihnen mit einer Herde, um ihre Spuren zu verwischen. Sie verbrachten in der Höhle drei Nächte. Der Sohn Abu Bakrs Abdullah und seine Tochter Asma’ versorgten sie derweil mit Proviant und Nachrichten aus Mekka.

Die zwei, deren Dritter Gott war

Dort waren die Oberhäupter der Stadt durch die überraschende und spurlose Flucht des Propheten und durch das Scheitern ihres doch so treffsicheren Planes in wütende Hektik versetzt worden. Sie verprügelten Ali und schlugen sogar die Tochter Abu Bakrs, um von ihnen Informationen über die Flüchtigen zu erpressen. Dann stellten sie Suchtrupps zusammen, die in alle Richtungen ausschwärmen sollten, und setzten ein gewaltiges Preisgeld für ihre Ergreifung aus. Es setzte eine intensive Suche ein, die alle möglichen Wege erkundete. Einige Männer stiegen sogar den Berg Thawr hinauf und blieben vor der Höhle stehen. Der Prophet und sein Freund hörten ihre Stimmen. Nach einer berühmten Überlieferung flüsterte Abu Bakr in diesen Augenblicken besorgt dem Propheten zu: „Wenn einer von ihnen zu seinen Füßen blickt, entdecken sie uns!“ Doch der Prophet beschwichtigte ihn: „Sei nicht traurig, denn Gott ist mit uns.“, und fügte hinzu: „Was hältst du von zweien, deren Dritter Gott ist?“ Die Verfolger beschlossen zurückzukehren. Eigentlich läge es aus Sicht der Männer auf der Hand, gerade in der Höhle nachzuschauen. Aber nach den Überlieferungen hatten eine Spinne ihr Netz über die Höhlenöffnung gesponnen und wilde Tauben ihre Nester dort gebaut, womit die Vermutung der Flüchtigen in der Höhle abwegig erschien. Der Koran wird später auf diesen Augenblick hinweisen:

Wenn ihr ihm nicht helft, so hat Allah ihm damals schon geholfen, als die Ungläubigen ihn vertrieben haben - er war einer von zweien -, wie sie da beide in der Höhle waren und er zu seinem Begleiter sagte: Sei nicht traurig, denn Allah ist mit uns. (at-tauba; 9;40)

„Hätten sie mich nicht vertrieben, ich hätte dich nicht verlassen“

Am vierten Tag kam wie vereinbart ihr Führer, ein Koraischite, der der Religion seines Volkes treu geblieben war, und brachte ihnen die beiden Kamele, die Abu Bakr vorbereitet hatte. Sie brachen auf und ritten zügig, denn sie mussten damit rechnen, das Preisgeldjäger und Suchtrupps sie weiter verfolgen würden. Einmal drehte sich der Prophet um und konnte in der Ferne Mekka erkennen. „Du bist Gottes liebstes Stück Erde,“ sagte auf seine Heimatstadt blickend, „und bei Gott, wenn mich dein Volk nicht aus dir vertrieben hätte, ich hätte ich nicht verlassen.“

Die Menschen in Yathrib hatten vom Aufbruch des Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, gehört und konnten seine Ankunft kaum erwarten. Sie wussten nicht, dass er einige Tage in der Höhle abgewartet hatte und waren seit Tagen jeden Morgen vor die Stadt gegangen, um ihn dort zu empfangen. Nur die Mittagssonne hatte sie gezwungen, in ihre Häuser zurückzugehen.

Nach zwölf oder dreizehn Tagen kamen der Prophet und Abu Bakr dann endlich in Quba an, einem Ort etwa zehn Kilometer vor Yathrib. Die Menschen hatten sich auch an diesem Tag in der Mittagshitze zurückgezogen. So war der erste Mann, der die beiden sah, ein Jude, der zufällig auf dem Dach seines Hauses war und von dort aus in ihre Richtung schaute. Vor Begeisterung rief er so laut er konnte in Richtung des Ortes: „Ihr Araber! Er ist gekommen, er ist gekommen!“ Sein Ruf war weithin zu hören. Die Leute eilten sofort hinaus und scharten sich freudig um die beiden Ankömmlinge. Ihre Freude war riesig.

Salman, der Perser

Der Prophet blieb vier Tage in Quba und legte in dieser Zeit den Grundstein für die erste Moschee, die im Islam erbaut wurde. In diesen Tagen traf auch Ali aus Mekka an.

Viele Leute kamen aus Yathrib nach Quba, den Propheten zu sehen, darunter auch einige Juden. Ein bemerkenswerter Besucher war Salman, der junge Perser. Er hatte vor Jahren ähnlich wie die Hunafa’ aus Mekka die Religion seines Volkes verlassen und sich im Irak und in Syrien christlichen Lehrern angeschlossen. Dort hörte auch er viel von dem Propheten, der in Arabien erwartet wurde. Deshalb vertraute er sich einer arabischen Kaufmannskarawane an, die ihn dorthin führen sollte. Sie verkauften ihn jedoch als Sklaven, und als solcher landete er schließlich bei einem Juden von Yathrib. Sein letzter Lehrer hatte ihm erklärt, woran er diesen Propheten erkennen würde. Eines der Zeichen war, dass er Geschenke annehme, aber keine Almosen. Als ihn die Nachricht von der Ankunft des Propheten erreichte, stahl er sich von seinem Dienst fort und packte Speisen ein. Er trat zum Propheten und überreichte ihm die mitgebrachten Speisen als Almosen. Dann beobachtete er, wie der Prophet seine Gefährten davon essen ließ, selbst aber nicht davon probierte. Salman war überglücklich und kehrte zurück zu seinem Dienstherrn, in der freudigen Hoffnung, sich bald dem Propheten anschließen zu können.

Auch eine Delegation aus der Sippe der Najjar, die seine Onkels mütterlicherseits waren, kam und sollte ihn von dort aus zusammen mit vielen anderen nach Yathrib geleiten.

Am darauf folgenden Freitag war es dann soweit. Unterwegs nach Yathrib betete er in einem Tal das erste Freitagsgebet mit vielleicht einhundert Mann. Am Nachmittag trafen sie in Yathrib ein. Dieser Tag war der 12. Rabi’ al-Awwal des Jahres 1 der islamischen Zeitrechnung (14 nach der Berufung; ca. 27. September 622). Die Zeit der Verfolgung und Unterdrückung war vorbei und es begann eine neue Ära mit völlig neuen Herausforderungen.


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