Logo Muhammad
GeschichteGeliebt & UmstrittenUnterwegsMein ProphetKreativ Kontakt
 df
"Kunst ist auch Geisteserweiterung und Spiritualität"

Hülya Kandemir im Gespräch

In der Zeit, als einige Frauen reihenweise dazu angesetzt hatten, in ihren Büchern radikal mit dem Islam abzurechnen, veröffentlichte Hülya Kandemir ihr autobiografisches Buch „Himmelstochter“, in dem sie einen entgegengesetzten Weg beschrieb: „Mein Weg vom Popstar zu Allah“. Das Buch stieß bei Presse und Fernsehen auf reges Interesse, stellt es doch so manches „Weltbild“ auf den Kopf: Ein junges, vielversprechendes Musiktalent mit den besten Aussichten auf eine große Karriere sagt dem Glanz des Showgeschäfts kurzentschlossen Adieu – und wendet sich dem Islam zu. 1975 in der Oberpfalz als Tochter türkischer Eltern geboren, spielt sie Gitarre und Klavier, schreibt und malt. islam.de konnte sie für den Kreativwettbewerb „muslim made – Zeig mir den Propheten“ als Mitlied der Jury gewinnen. Wir sprachen mit ihr über Kunst und Kreativität, über Inspiration und Eitelkeit und Spiritualität und über die Kunst der Muslime in Deutschland.

islam.de: Frau Kandemir, Sie haben vor zwei Jahren Ihr viel beachtetes Buch „Himmelstochter – Mein Weg vom Popstar zu Allah“ geschrieben. Auf welchen Gebieten betätigen Sie sich heute künstlerisch?

Hülya Kandemir: Mit der Veröffentlichung meines Buches Ende 2005 , kam auch mein Sohn Hamza Adam auf die Welt. Daher bleibt mir im Moment wenig Zeit für Künstlerisches. Aber in Begleitung meiner Gitarre singe ich meinem Sohn viele meiner Lieder vor und ich habe noch einige Konzerte als Singer–Songwriter vor einem ausschließlich weiblichen Publikum. Jedoch ist es auch oftmals eine Kunst Mutter zu sein: Es erfordert sehr vielseitige Kreativität!

islam.de: Welche Bedeutung hat es für Sie kreativ zu sein, welche Rolle spielt Kunst in Ihrem Leben?

Hülya Kandemir: Kreativ kann man in vielen Bereichen des Lebens sein wie zum Beispiel eben auch als Mutter. Das bedeutet für mich die Visionen, die Phantasie und das menschlich Schöpferische gedeihen zu lassen. Kunst ist für mich die von Allah gegebenen Talente zu nutzen, um sich einen tieferen Einblick in die Wahrheiten zu verschaffen, in dem man mit der Seele, dem Herzen und dem Verstand im Einklang arbeitet und dieses neu gewonnene Wissen in dem jeweiligen Talent nach Außen trägt. So diene ich Allah und teile das mir Gottgegebene mit meinen Mitmenschen.

islam.de: Ihre Besinnung auf den Islam als ihren wichtigsten Lebensinhalt bedeutete für Sie auch die Aufgabe Ihrer Karriere im Musikgeschäft. Sie kehrten der Bühne den Rücken und hörten auf Musikerin zu sein.

Hülya Kandemir: Was ich getan habe war nicht der Bruch mit der Musik. Ich spiele auch heute noch Musik, ich singe auch heute noch und schreibe Texte. Ich singe sehr gerne auch noch meine alten Lieder. Ich habe mich lediglich vom Showbusiness verabschiedet. Und das ist etwas ganz anderes als Kunst. Dort stehen ganz andere Dinge im Mittelpunkt als das, was für mich Kunst ist: Dort geht es um Geld, um Eitelkeit und Karriere, um das eigene Ego, die „nafs“, und die Musik steht lediglich in ihrem Dienst.

islam.de: Manche sind der Ansicht, dass der Islam kunstfeindlich sei und außer der frommen Dichtung, Moscheearchitektur und Koranrezitation keinen Raum für künstlerische Aktivität lässt. Und einige Muslime scheinen diese Ansicht mit Nachdruck zu bestätigen. Was denken Sie ganz persönlich über Kunst und Islam?

Hülya Kandemir: Moscheearchitektur, frommer Gesang, Ilahi-Gesang, Koranrezitation: All das ist wunderschön, wunderschöne Kunst, und es adelt die Kunsttradition der Muslime. Es wäre schade, wenn man die Kunst nicht dazu nutzte, sein Wissen zu erweitern. Kunst sollte man auch unter diesem Aspekt betrachten. Abgesehen davon ist es doch auch wunderbar, seine tiefe Liebe zu Allah und die Ergriffenheit vor dem Wunder Seiner Schöpfung in Form von Kunst auszudrücken, anders könnte man diese Tiefe ja nicht beschreiben. Und dann dürfen wir Muslime nicht vergessen, dass ein Âlim, ein Wissender, bei Allah auf den höchsten Stufen steht. Unser Prophet s.a.w.s. selbst hat so viel vom Wissen gesprochen und eine berühmte Überlieferung ermahnt uns, nach dem Wissen zu suchen, selbst wenn es in China ist - damals war China sehr weit weg. Indem man sich künstlerisch beschäftigt, erweitert man sein Bewusstsein, man geht den Dingen geistig auf den Grund. Dazu gehört natürlich auch die Recherche des nötigen Wissens, wenn man sich mit einem bestimmten Thema beschäftigt. Und dazu gehört, sich immer wieder auf den Weg zu machen, und das bedeutet nicht nur das Bestehende, und das, was andere vor uns geschaffen haben, zu reproduzieren.

islam.de: Gibt es denn so etwas wie eine „islamische“ Musik oder Kunst? Was ist es, das aus Kunst eine „islamische“ Kunst macht?

Hülya Kandemir: Manchmal habe ich den Eindruck, dass unter „islamischer“ Musik nur solche Musik verstanden wird, in der explizit islamische Themen und Begriffe verarbeitetet werden, also etwa der Gesang vom Propheten s.a.w.s. oder von Allah s.w.t. Oder auch gesellschaftliche und politische Themen mit islamischem Bezug. Solche Texte und Themen sind wichtig und gehören dazu und ein Künstler kann auch hier echte Kunst schaffen. Aber es wäre falsch, den Horizont der „islamischen“ Kunst hierauf zu beschränken. Ich glaube sogar, man kann gar nicht definieren, was „islamische“ Kunst oder Musik ist, sondern nur, was sie nicht ist. Kunst hat sehr viel mit Suche nach der Wahrheit und mit Sehnsucht zu tun. Kunst ist auch Spiritualität. Wichtig ist für mich, das man nicht eitel wird und sich nichts einbildet auf das, was man einzig und allein dem Schöpfer zu verdanken hat. Der Weg der Eitelkeit ist der Weg Satans, und das ziemt nicht dem Talent, welches ja ein Geschenk Allahs ist. Wenn man sich das immer vor Augen hält und man die Kunst nicht über das Praktizieren des Glaubens stellt, kann man inschaallah nicht viel falsch machen.

islam.de: Woher nehmen Sie Ihre Inspirationen oder woher kommen sie Ihnen?

Hülya Kandemir: Um es ganz einfach zu sagen: Von Allah. Auch damals, ich meine bevor ich mich zu Islam bekannte und den Islam ernsthaft lebte, war meine eigentliche Inspirationsquelle Allah, auch damals sang ich von Ihm, auch wenn ich Ihn damals noch nicht so eindeutig mit dem Islam in Verbindung brachte. Suche und Sehnsucht nach Allah, das ist es, was mir meine Inspiration gibt. Nur damals hang ich völlig im luftleeren Raum, ich hatte keine Ahnung, wie und wo ich Allah suchen und finden würde, ich wusste nicht einmal genau, wonach es mich so sehr sehnte. Deshalb war meine Musik auch anders, leidenschaftlicher.

islam.de: Heißt das, dass der Suchende, der noch nicht angekommen ist, der seinen Weg noch nicht gefunden hat, der bessere Musiker oder Künstler ist?

Hülya Kandemir: Das würde ich so nicht sagen. Er ist vielleicht leidenschaftlicher, da ist noch mehr Feuer. Aber auch dann, wenn man den Weg gefunden hat, wenn man das Gefühl hat, endlich angekommen zu sein, auch dann darf man nicht aufhören zu suchen, die Sehnsucht bleibt. Die Sehnsucht nach Allah.

islam.de: Gibt es in Deutschland kaum muslimische Künstler oder beachten wir sie bisher nur noch nicht genug?

Hülya Kandemir: Die Spaltung der Muslime in einzelne ethnische Gruppen verhindert die Verbreitung und den Austausch ihres künstlerischen Schaffens. Innerhalb der türkischen Gemeinde zum Beispiel gibt es viele kreative Leute. Da sie aber auf Türkisch tätig sind, können die deutschsprachigen Muslime damit wenig anfangen. Abgesehen davon fehlt es auch an einer Vernetzung der Gemeinden. Da können wir viel von unseren englischen Geschwistern lernen, bei denen es längs Standard ist, Englisch als Medium zu nützen und verbands- und herkunftsübergreifende Veranstaltungen zu organisieren.

islam.de: Meinen Sie, dass die Muslime der deutschen Kunstlandschaft eine Bereicherung sein können?

Hülya Kandemir: Da bin ich mir hundertprozentig sicher! Ich habe so viele wirklich begabte junge Menschen kennen gelernt. Ich weiß nicht wie es bei den Muslimen aus anderen Ländern ist, aber bei den Türken habe ich manchmal das Gefühl, dass sie alle singen und malen können. Aber in Inhalt und Stil: Ich könnte ins Schwärmen geraten, wenn ich mir ausmale, wie türkische Klänge und Rhythmen die Musikwelt in Deutschland inspirieren. Ich glaube aber, Muslime könnten in der Kunst hierzulande vor allem einen Aspekt stärken: Spiritualität, Demut und Nachdenklichkeit nehmen hier einen großen Raum ein. Wenn das „Islamische“ bereichern soll, dann wird das vor allem in diese Richtung gehen. Vielleicht trägt es dazu bei, dass die Kunst wieder mehr in den Mittelpunkt rückt, nicht die Person des Künstlers, nicht der Star. Denn man darf nicht unterschätzen, wie stark die Sogwirkung der Elemente Eitelkeit und Ego im Kunstbetrieb sind; davor ist niemand gefeit, selbstverständlich auch die Muslime nicht.

islam.de: In den letzten Jahren ihrer musikalischen Karriere haben Sie sich immer mehr vom Deutschen zum Türkischen bewegt. Wenn Sie sich heute wieder an das Verfassen von Songtexten setzen würden, würden sie auf Deutsch oder Türkisch schreiben?

Hülya Kandemir: Ich würde natürlich auch auf Englisch schreiben, einfach um Menschen verschiedener Ethnien zu erreichen. Aber auch auf Deutsch und auf Türkisch, denn das sind die Sprachen, in denen ich zuhause bin. Im Türkischen begeistert mich vor allem auch die klassische Osmanische Sprache. Ich bin darin nur leider noch nicht sicher genug, das ist ein Studium für sich. Aber es ist so faszinierend, dass ich es auf mich nehmen will.

islam.de: "Zeig mir den Propheten“ ist das Motto des Wettbewerbs. Als Jurymitglied sind Sie von der Teilnahme – aus unserer Sicht leider – ausgeschlossen. Aber wir sind dennoch neugierig: Wie hätten Sie den Propheten gezeigt, Gottes Segen und Frieden über ihn?

Hülya Kandemir: Wenn ich nicht Jurymitglied wäre, was ich sehr gerne bin, denn ich freue mich schon auf jede einzelne Arbeit die ich inschaallah bewundern darf, wäre ich die erste Teilnehmerin geworden! Ich Ihnen Arbeiten in drei oder vier verschiedenen Kunstrichtungen geschickt. Bei diesem wundervollen Thema - subhanallah - sprudelt es in mir an Ideen und Gedanken. Gemalt hätte ich mit Ölfarben ein Gemälde z.B. eine Blume und in der Blume wieder eine noch schönere und darin noch mal eine noch schönere und in den Farben immer intensiver und tiefer werdend und in der Mitte zum Schluss auf arabisch „vollkommene Hingabe“. Ich denke an ein Filmprojekt: die damalige Zeit mit der heutigen konfrontieren und dabei vor allem das Thema die Ahlak verarbeiten. Auch ein Theaterstück käme mir in den Sinn. Aber ich glaube, das wäre alles viel zu viel und ich würde mich wohl auf mein Kerngebiet konzentrieren: Ich denke an Dichtung und Musik für einen Chor: die einzigartige Hingabe Muhammads s.a.w.s. Allah gegenüber versuchen in Worte zu fassen und musikalisch auszumalen. Ich wünsche allen Teilnehmern eine wertvoll intensiv kreative Zeit und Allahs s.w.t. Hilfe.

islam.de: Frau Kandemir, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Das Interview führte Mohamed Laabdallaoui

Internetauftritt von Hülya Kandemir: huelya.de


© copyright islam.de